Mai 2015

Ramses am Westkreuz

Es muss einer von diesen viel zu heißen Sommertagen gewesen sein, wie es sie Ende der 70er gab. Die Luft schmeckte irgendwie nach Staub, die Straßen flirrten. Und dann ganz plötzlich ist es mitten in der Stadt völlig still und man ist scheinbar allein. Nur das schleifen des Pedals am Kettenschutz hallt rhythmisch wieder. So streiften meine Freunde und ich damals oft durch Neuaubing. Und im Zentrum unserer Touren, stets sichtbar stand der Ramses – hoch, erhaben, weiß strahlend, faszinierend und unnahbar.
Unter den Eltern wurde damals durch Mundpropaganda das scheinbar unfassbare verbreitet. Im obersten, neunzehnten Stock sollte sich ein Schwimmbad befinden. Überdacht, beheizt mit Saunalandschaft und Dachterrasse – zugänglich nur für die ca. 1.000 Bewohner dieses monströsen, schneeweißen Gebirges, das Anfang der 70er von Helmut von Werz und Johann-Christoph Ottow in die damals dörfisch geprägte Peripherie Münchens als Zentrum einer riesigen Stadterweiterung komponiert wurde.
Hin und wieder, vielleicht Sonntags, sind wir in das zugehörige Stadtteilzentrum zum Essen gegangen. An einem kühlen Durchgang gelegen, gab es eine Pizzeria, drinnen war es trotz der großen Fenster dunkel und geschützt vor dem gleißenden Sonnenlicht, mit schwerer Holzvertäfelung, und Vorhängen, dazu schummriges Licht aus roten Keramikleuchten, dass sich durch den Zigarettenqualm kämpfte.
Wenn ich heute in der Nähe bin, nehme ich manchmal gerne einen kleinen Umweg in Kauf, vielleicht magisch angezogen von diesem – meinem persönlichen – Ort tief verankerter Momente kindlicher Glückseligkeit. Und ich frage mich, ob es wirklich nur meine persönliche Erinnerung ist, die diesen Ort zu etwas besonderem macht, oder ob etwas von dem Wagemut, der Lebensfreude und der Aufbruchsstimmung der Ära Vogel in diesem mit weißen Faserzementplatten bekleideten Betonberg bis heute spürbar bleibt als gebauter Traum einer wachsenden, sich öffnenden Gesellschaft mit all seinen Ecken, Kanten und vermeintlichen (Bau)Sünden. Es scheint mir zuzurufen: Traut Euch!

Andreas Müsseler, Meili Peter Architekten München

Zur Person:
Andreas Müsseler ist uns schon als Kommilitone aus dem Studium bestens bekannt. Er war mit uns zudem Mitglied im legendären UBUSA. Seit 2014 kreuzen sich unsere Wege wieder als Assistenten am Lehrstuhl Hild an der TU München.
Wir danken ihm für seinen Beitrag.

Thomas Gerstmeir


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